Die Leinwandgöttin wurde international gefeiert. In Italien verband sie mit Sophia Loren eine über Jahrzehnte andauernde, mit den Waffen der Décolletés geführte Rivalität. Nun ist sie 95-jährig gestorben.
Marisa Buovolo
5 min
Mit ihrer Rolle als die schöne Bäuerin Mariantonia in «Altri tempi» schrieb Gina Lollobrigida 1952 Film- und Kulturgeschichte. Blutjung, mit runden Hüften, Wespentaille und voluminösem Décolleté sitzt sie auf der Anklagebank und gesteht mit entwaffnendem Lächeln unter den Augen von den wie hypnotisiert wirkenden Richtern, ihre Schwiegermutter vergiftet zu haben. Ihr Amtsverteidiger plädiert leidenschaftlich für einen bedingungslosen Freispruch.
Der Grund ist die sensationelle Schönheit Mariantonias, die als «maggiorata fisica» – eine, wie der Verteidiger sie beschreibt, mit aussergewöhnlich weiblichen Attributen ausgestattete junge Frau – ohne Vorbehalt die Freiheit verdient. Selbstverständlich wird Mariantonia freigesprochen, und der noch unbekannten Gina Lollobrigida gelingt der internationale Durchbruch als vollkommene Inkarnation des aufkommenden Schönheitsideals im Italien der Nachkriegszeit, das mit dem Neologismus «maggiorata» den passenden Ausdruck fand.
Nicht alle Schönheitsköniginnen hatten das gleiche Glück
Als verführerische «fiori di carne» auf der Suche nach neuen Rollen in der sich im Umbruch befindenden Gesellschaft eroberten viele junge Italienerinnen in den späteren 1940er Jahren die öffentliche Bühne und zugleich die Leinwand. In hautengen Blusen um die üppig schwellenden Brüste und schmal geschnittenen Bleistiftröcken steuerten sie männliche Blicke, lösten weibliche Identifikationsprozesse aus und wurden zur Projektionsfläche einer kollektiven Regeneration.
Auf die «Körperlandschaften» zahlloser, oft aus Schönheitswettbewerben rekrutierter junger Frauen wurde das Starsystem all’italiana wiederaufgebaut. Nicht alle der kurvenreichen Schönheitsköniginnen hatten das gleiche Glück: Einige verschwanden schnell wieder in der Anonymität, andere, wie Lucia Bosè oder Silvana Mangano, wurden über Nacht berühmt.
Gina Lollobrigida, die im Miss-Italia-Wettbewerb von 1947 nur den dritten Platz erreichte, demonstrierte nach «Altri tempi», dass sie nicht nur ein «fiore di carne» unter vielen war, sondern auch komödiantisches Talent besass.
1927 in Subiaco, einer kleinen Stadt in den Abruzzen, geboren, studierte sie an der Accademia di Belle Arti in Rom, jobbte nebenbei im Film als Statistin und spielte in Nebenrollen immer wieder die üppige Schöne. Nach dem Ruhm, den sie mit «Altri tempi» erlangte, wurde Lollobrigida vom Regisseur Luigi Comencini 1953 in der Komödie «Pane, amore e fantasia» in der Rolle der Protagonistin, der schönen und eigenwilligen Bäuerin Maria – wegen ihres Ungestüms «Bersagliera» genannt –, besetzt und durfte in temperamentvollen Tiraden den Dialekt ihrer Region sprechen.
Auf quasidokumentarisch inszenierten Landschaften eines kargen Bergdorfes der Abruzzen spielen sich lustige und harmlose Liebeleien ab, bei denen die Bersagliera im Zentrum steht. Sie ist ein erotischer Vulkan, aber kein passives Objekt der Begierde und weiss sich zu behaupten in der machistischen Welt, mit der sie alltäglich konfrontiert wird. Mit frischer Sinnlichkeit konnte Gina Lollobrigida unter der Regie von Comencini eine kecke Variante der goldonischen Mirandolina darstellen und mit der Rolle der Bersagliera eins werden.
Es war die Geburt einer neuen Leinwandgöttin, sie wurde international gefeiert. «Als ich berühmt wurde, habe ich gar keine Rivalinnen mehr gehabt», hat Lollobrigida einmal erklärt. Nach der enormen Popularität von «Pane, amore e fantasia» spielte sie erneut die Bersagliera in der zweiten Folge der sogenannten «Pane, amore, e...»-Reihe, «Pane, amore e gelosia», aber im dritten Teil verzichtete sie auf die Hauptrolle und überliess sie ihrer Rivalin Sophia Loren, dem anderen grossen Kurvenwunder der Nation. Es war der Beginn eines bitteren Kampfes zwischen den zwei bedeutendsten «maggiorate» im Lande, der über Jahrzehnte andauerte und mit den Waffen der Décolletés und der scharfen Widerworte geführt wurde.
Gina Lollobrigida hat stets behauptet, dass, als die Loren gerade anfing, sie bereits ein Star gewesen sei; sie selbst sei ganz allein zum internationalen Erfolg gekommen, ohne jegliche Unterstützung von Talentförderern oder Filmproduzenten, habe sich stets auf ihre eigene Intuition verlassen und an ihrem Image von Beginn an selbst gearbeitet. Und tatsächlich wirkte sie in den späten 1950er Jahren an einer Reihe internationaler Grossproduktionen mit, an der Seite von prominenten Partnern wie Tony Curtis und Burt Lancaster in Carol Reeds «Trapeze» oder unter der Regie von Hollywood-Meistern wie King Vidor in «Solomon and Sheba».
Mit dem Film «La donna più bella del mondo», der an das Leben der italienischen Opernsängerin Lina Cavalieri angelehnt war und von ihr mitproduziert wurde, und in der Rolle der sinnlichen Esmeralda in «Notre-Dame de Paris» an der Seite von Anthony Quinn als Glöckner verfestigte sich ihr Ruhm als «schönste Frau der Welt». Schliesslich verkörperte die «Gina nazionale» vor allem die strahlende Botschafterin mediterraner Weiblichkeit in der Welt; ihre Schönheit wurde in glamourösen Rollen verherrlicht, aber die eigenwillige, spontane Naturgabe der Bersagliera-Darstellerin wurde immer mehr in Hollywood-Stereotype eingesperrt.
Fotografie als Leidenschaft
In Laufe der 1970er Jahre zog sich Gina Lollobrigida nach und nach aus dem Film zurück und widmete sich ihrer grossen Leidenschaft, der Fotografie. Irgendwann schien es sogar möglich, dass das Talent der Fotografin den Ruhm des Filmstars überschatten könnte. Aber nein: Gina Lollobrigida pflegte ununterbrochen, nahezu hartnäckig, ihr Leinwandgöttinen-Image. In ihren öffentlichen Auftritten zeigte sie sich trotz den Spuren der Zeit stets in opulenten Roben und mit elaborierten Frisuren, der Schmuck wie immer protzig, der Blick entrückt, die Lippen tiefrot bemalt.
Sie strahlte etwas Geheimnisvolles aus, erschien nahezu wie ein Geschöpf nicht von dieser Welt und ähnelte immer mehr der Fee mit den blauen Haaren, ihrer letzten beeindruckenden Rolle unter der Regie von Luigi Comencini: In seiner meisterhaften Fernsehverfilmung von «Pinocchio» von 1972 erschien Gina Lollobrigida als gute Fee von der Aura der «diva d’altri tempi» umgeben und wie gemeisselt darin festgehalten.
Zuletzt träumte Gina Lollobrigida noch von einer Karriere in der Politik, vor wenigen Monaten erst kandidierte sie für den italienischen Senat. Vergebens allerdings. Nun ist die grosse Diva Italiens 95-jährig in Rom gestorben.
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